Dicke Mädchen haben schöne Namen

 

Dicke Mädchen haben schöne Namen oder Fernsehwelt
© Barbara Naziri

Dies ist ein Blick in die Vergangenheit, lieber Freund. Sehr aufschlussreich, denn die Fernbedienung ist die gleiche, auch wenn mancher der hier genannten Interpreten wohl inzwischen das Zeitliche gesegnet hat.

Wir hatten wieder einmal einen Samstagabend zu Hause verbracht und uns den üblichen langweiligen Krimi angesehen. Danach folgte – wie immer – der Kampf um die Fernbedienung. Ich war schneller als Dary, was er mit einem Murren quittierte. Ich zippte mich einmal durch und landete beim "Frühlingsfest der Volksmusik". Erschrocken wollte ich weiterschalten, da nahm ein roséfarbener Paradiesvogel das Bild ein und ich vergaß alles, auch auf den Knopf zu drücken. Flori Silbereisen nannte sich der rosa Blondschopf, dessen Füße in maskulinen Schuhen steckten, die so gar nicht zu seinem femininen Gesten passten, mit denen er über die Bühne schwebte. Langatmig kündigte er ein hageres Männchen mit Zwirbelbart an. Den Namen verstand ich nicht, aber das Lied machte mich neugierig.

„Dicke Mädchen haben schöne Namen, sie heißen Tosca, Katrein oder Carmen!“, sang der Hagere mit sonorer Stimme. Im ersten Impuls wollte ich meine Freundin Tosca anrufen („Tosca, sie singen unser Lied“). Doch gerade rechtzeitig fiel mir ein, sie ist ja in London und feiert dort Party. Vielleicht hätte ihr mein Anruf eher die Partylaune verdorben, denn das eine oder andere Kilo wollen wir schon seit Längerem abnehmen. Doch zurück zur Show. Zu meinem Erstaunen rollte nun die unsterbliche Akteurin aus einer bekannten Vorabendserie in einer steifen Abendrobe auf die Bühne. Ihre Bemühungen, anmutig zu erscheinen, hätten jedes Nilpferd erblassen lassen. Leider passten ihre Gesten keineswegs zu ihrem Outfit. Zu allem Überfluss erblödete sie sich nicht, auch eine Strophe zu singen: „Dicke Männer haben schöne Namen, sie heißen Oscar, Kuno oder Hagen!“. Dabei rückte sie dem Hageren, der bestimmt Bernhard hieß und Speckfalten nur vom Eisbein kannte, ziemlich auf die Schwarte. Entsetzt wich er zurück und schrie gegen an, „Dicke Mädchen hat der Himmel geschickt…“ (was sich darauf dann reimte habe ich vergessen!). Ich war abgelenkt, denn Dary betrachtete nachdenklich seinen Bauch und ich musste heute mal über meine Pfunde grinsen.

Dary hatte entdeckt, dass in einem anderen Programm Fußball lief und er rutschte unruhig hin und her. Aber heute war ich die Königin der Fernbedienung und wollte die Show zu Ende sehen. Dary, inzwischen in Weltuntergangsstimmung, blätterte hektisch in der Programmzeitschrift und stellte erleichtert fest, dass das Ende abzusehen war. Ich vermied es, seiner Hoffnung einen Dämpfer zu verpassen und ihn daran zu erinnern, dass Showbeiträge am Samstagabend grundsätzlich überzogen werden.

Flori tänzelte derweil wie ein Eisläufer über die Bühne und ich hätte mich nicht gewundert, wenn er dazu einen doppelten Salto geschlagen hätte. „Und hier…“, verschwörerisch hielt er inne, um dann eine weit ausladende Handbewegung zu machen, „… habe ich einen sehr interessanten Beitrag aus Brandenburg. Um es genauer zu sagen: Eine Spezialität!“ Unsere Erwartungen auf eine musikalische Einlage wurden enttäuscht. Stattdessen erschien ein Mann im Trachtenlook mit einem Glas Gurken in der Hand. In einem gestenreichen Monolog pries er den einmaligen Geschmack von Spreegurken. Ein kurzer Seitenblick auf Dary. Sein Gesichtsausdruck glich dem der eingemachten Gurken, während seine Augen an der Uhr klebten. ...

  • Broschiert: 512 Seiten
  • Verlag: TWENTYSIX; Auflage: 1 (11. November 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3740706686
  • ISBN-13: 978-3740706685

 

 

 

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