Nicht Fleisch - nicht Fisch

Nicht Fleisch, nicht Fisch

© Barbara Naziri 

Samuel Rosenbaum versäumte keinen Sabbat bei Rabbi Chajm, um an dessen Tafel den köstlichen Wein zu genießen. Nur eine schwere Krankheit hätte ihn davon abhalten können. Für den Rabbiner war er das lebendige Gewissen, erinnerte ihn das vergnügte Zuprosten Samuels doch stets an seinen missglückten Trick mit den vertauschten Weinflaschen. Doch Gram konnte er Samuel nicht sein, war dieser doch verschwiegen wie ein Buch mit sieben Siegeln und hatte den kleinen Schwindel nicht bekannt gemacht. Dennoch war hie und da ein Verdacht durchgesickert und wenn man an der Tafel dem Wein zusprach, so hörte man den einen oder anderen sagen: „Oijjoijoi, Rabbi Chajm, der Wein spricht zu uns! Wir sind doch heute gute Menschen!“

Samuel Rosenbaum saß in seinem Laden und strich nachdenklich seinen grauen Bart. Hatte er noch im letzten Jahr seine Spargroschen regelmäßig auf die Bank gebracht, so herrschte seit geraumer Zeit großes Gähnen in seiner Kasse, die ihn anmutete wie ein zahnloses Weiblein. Heimlich hatte sich die Rezession durch die Hintertür geschlichen und mancher Kaufmann kämpfte schwer gegen dieses Schlamassel. Die Geschäfte gingen schlecht und seine gute Laune löste sich in Sorgen auf, so als hätte jemand guten Wein mit Wermut vermengt.

 „Golda, meine Krone“, sagte er am Abend zu seiner Frau. „Ich habe mich entschlossen, meinen Antiquitätenhandel eine Zeitlang in den Süden zu verlegen. Die Geschäfte dort sollen besser gehen als hier oben im Norden. Das heißt, ich werde reisen.“

„Oijjoijoi, Schmuel, sei kein Schmock!“, lamentierte seine Golda. „Sind wir Juden nicht genug gereist im Leben? Das Schtädtle ist doch unsere Heimat. Die Kinder leben hier und ich kenne jeden Winkel. Der Tempel ist gleich nebenan. Glaubst du, ich mag in eine Gegend ziehen, in der nur Gois* und kein einziger Jude leben? Wie trocken wird mir Barches** in der Fremde schmecken. Ich werde vergehen ohne die Freunde, die lieben Tanten und Onkeln.“

„So schweig schon still, Goldaleben! Wir müssen leben und von nix aus der Tasch’ kommt nix in die Tasch’. Da helfen weder Klagen noch Wehgeschrei. Es ist ja nicht für ewig. So G’tt will, geh ich zuerst allein und schau mich um. Das Leben geht weiter und keine Uhr der weiten Welt geht zurück.“

 Bald darauf setzte er seinen Beschluss in die Tat um. Am Abreisetag versammelte sich eine Gruppe auf dem Bahnhof, angeführt vom Rabbi. Böse Zungen behaupteten später, er wollte sich nur von Samuels tatsächlicher Abreise überzeugen. „Maseltov“, rief Rabbi Chajm mit seiner kräftigen Stimme, „mögen deine Geschäfte erfolgreich sein und deine Rückkehr gewiss!“ Die letzten Worte klangen aus gutem Grunde etwas gedämpfter. Das allzeit spöttische Blinzeln von Samuel piekte ihn wie ein Dorn im Fleisch. Doch nun entfernte es sich mit dem Zug, der immer mehr seinen Blicken entschwand.

 Das Schicksal führte Samuel Rosenbaum ausgerechnet in die Kleinstadt einer erzkatholischen Gegend. Hier bezog er in einer ruhigen Straße eine kleine Wohnung mit Garten in der Nähe des neuen Geschäftes. Seine Nachbarn waren freundlich und wie es in so vielen kleinen Städten ist, hielten sie gerne einen Schwatz. Aber er war und blieb der einzige Jude. Kein gemeinsamer Sabbat, kein Zuprosten mit dem Sabbatwein, kein Barches**, um es mit jemanden zu brechen. So zelebrierte er den Sabbat für sich allein und sprach still sein Kiddusch***. Als das Wetter wärmer wurde, beschloss er nach dem Gebet, jeden Freitag sein Fleisch zu grillen. Was bot sich dafür besser an als sein kleiner Garten? Bald zog ein unwiderstehlicher Geruch in die Wohnungen und die katholischen Nachbarn wurden ziemlich nervös. Während sie ihren Fisch anstarrten, saß Rosenbaum vergnügt hinter den Büschen und grillte leckere Steaks.

So beratschlagten sie eifrig, um Abhilfe zu schaffen. Gesagt – getan. Der Entschluss stand fest, ihn zu bekehren. Nichts ließen sie unversucht. Doch Rosenbaum blieb stur und reagierte nicht. Da wurden ihre Bekehrungsversuche massiver. Sie folgten ihm auf Schritt und Tritt, während sie ihm stets die gleiche Litanei vorbeteten, doch in ihre Gemeinschaft einzutreten. Samuel wollte nur eines, nämlich endlich seine Ruhe haben. Schließlich gab er nach. War das ein Jubel! Um keine Zeit zu verlieren, brachten sie ihn flugs zu ihrem Priester. Dieser besprenkelte ihn mit gesegnetem Wasser und sagte: "Geboren als Jude - aufgewachsen als Jude - jetzt Katholik."

Ein tiefes Aufatmen ging durch die katholische Gemeinde! Das gegenseitige Schulterklopfen wollte gar nicht mehr aufhören. Nun war der Fastentag wieder fleischfrei und keine verführerischen Gerüche würden ihre Nase kitzeln. So sahen sie dem Freitag allgemein mit Gelassenheit entgegen. Gerade hatten die Kirchenglocken den Freitagabend eingeläutet, da zog doch tatsächlich ein appetitanregender Grillgeruch durch die Nachbarschaft! Erregt rannten die Katholiken zu Rosenbaum, um ihn an seine neue Ernährung zu erinnern.

Sie fanden ihn am Grill stehend, wo er mit ernster Miene Wasser über das Fleisch sprenkelte und sagte: „Geboren als Kalb, geworden ein Rind - jetzt Fisch.“

 

 

*Nichtjude
**ungesäuertes Sabbatbrot
***Sabbatgebet

 

 

 

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