Esther, liebe Freundin

Meine Freundin Esther Bejarano 

Esther, liebe Freundin © Aramesh

Zwar war sie die Kleinste im Elternhaus,
in dem man sie liebevoll "Krümel" nannte,
und wuchs über innere Größe hinaus
in Tagen, als plötzliches Grauen entbrannte.

Geboren in den zwanziger Jahren,
umgeben von loderndem Judenhass,
hat sie am eigenen Leibe erfahren,
jeder Schritt im Leben war wie auf Glas.

Pogromnacht sprengte den Elfenbeinturm,
braune Teufel umtanzten den Häuserkern,
Synagogen brannten im Feuersturm,
bald trugen die Juden den gelben Stern.

Esthers Eltern ermordet, verscharrt im Wald,
die Schwester erschossen auf der Flucht,
wohin man sah, herrschte nackte Gewalt
und Werte der Menschheit wurden verflucht.

Esther wurde nach Auschwitz deportiert,
schleppte Stein um Stein unter Barbarei,
Tag für Tag kam ein Treck durch das Tor marschiert
drauf stand geschrieben: „Arbeit macht frei!“

Vernichtung durch Arbeit per Henkersknechte,
die Gaskammern füllten nacktes Gebein,
weder Hoffnung noch Zukunft und bar aller Rechte,
nur sterben tat jeder für sich allein.

Menschenfleisch brannte in brüllenden Öfen,
säulengleich stieg dunkler Rauch empor,
Angst und Hunger in Baracken und Höfen,
denn niemand verließ lebendig das Tor.

Ein Mädchenorchester in Auschwitz war
die Chance für Esther, aus ihren Ketten
durch Akkordeonspiel, so wunderbar
ihr Leben vor Vernichtung zu retten.

So hat sie ihr Leben in Tasten gehauen,
die Ära der Teufel ging letztlich zu Ende,
für Esther hieß es, nach vorne zu schauen,
ihre Zukunft nahm sie beherzt in die Hände.

Seitdem singt sie auf den Bühnen der Welt,
bekämpft das Vergessen und rechte Gewalt,
hofft, dass die Jugend ihr nicht mehr verfällt,
ist ihr Vorbild und weise Lichtgestalt.

Eine lange Freundschaft, haltbar wie Erz -
meine Freundin bist Du bis heute geblieben -
schau ich Dich an, wird mir warm ums Herz,
meine Esther hat Geschichte geschrieben.

Heut sehe ich Dich auf der Bühne rappen,
mit Microphone Mafia im Gespann,
gegen Nazigesindel und andere Deppen,
ziehst Du wache Menschen in Deinen Bann.

Die Zeit ist an Dir vorübergezogen,
mal leichtfüßig lächelnd in bunter Vielfalt,
sind auch schwere Jahre vorübergeflogen,
bald bist Du ein ganzes Jahrhundert alt.

Für mich wirst Du zeitlebens Vorbild bleiben,
meine Löwin, beherzt, voller Energie,
mit Kraft Deiner Stimme das Unheil vertreiben,
Dein Kampf um Gerechtigkeit erlischt nie.

90 Jahre hast Du mit Bravour überstanden,
an Deinen Geburtstagen bin ich gern Gast!
Auf dem Tisch tanzend werd ich den Freylekh landen,
wenn Du 100 Jahre gesegnet hast.

Menschenliebe hat Dich jung gehalten,
lässt Deine Wangen im Eifer erglühen,
Du bist eine dieser Lichtgestalten,
wenn Deine Augen Funken sprühen.

(Gewidmet meiner Freundin Esther Bejarano zum 90. Geburtstag)


Esther Loewy wurde am 15. Dezember 1924 in Saarlouis als Tochter des Oberkantors einer jüdischen Gemeinde geboren. Ihr Vater entdeckte früh ihr musikalisches Talent. Esther erlernte das Klavierspiel. Im Laufe der Zeit wurde die Macht der Nationalsozialisten immer bedrohlicher und so musste Esther sich als 15-jährige von ihren Eltern trennen, um sich auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Doch sie wurde ergriffen und 1941 ins Zwangsarbeitslager Neuendorf bei Fürstenwalde/Spree überführt.
In einer Fürstenwalder Gärtnerei wurde sie zur Zwangsarbeit genötigt. Zwei Jahre lang. Am 20. April 1943 wurden alle Insassen des Arbeitslagers sowie weitere 1000 jüdische Menschen aus dem Berliner Sammellager in der Großen Hamburger Straße mit Viehwaggons nach Auschwitz deportiert. Über dem Eingang höhnte das Schild: Arbeit macht frei! Und so musste Esther in einem Arbeitskommando bis zum Umfallen Steine schleppen, immer hin und her, ohne dass das Ganze einen Sinn gehabt hätte. Eine Strategie, um die Menschen zu erniedrigen und ihnen die Würde zu rauben
Als das Mädchenorchester von Auschwitz eine Akkordeonspielerin suchte, meldete Esther sich spontan, obwohl sie nie zuvor Akkordeon gespielt hatte. Doch da sie Klavierspielen konnte, erlernte sie das Instrument schnell. Und sie spielte um ihr Leben. Die Aufgabe des Orchesters war es, zum täglichen Marsch der Arbeitskolonnen durch das Lagertor aufzuspielen oder wenn die Menschen in die Gaskammern gingen. So überlebte Esther Auschwitz und wurde bald darauf ins KZ Ravensbrück deportiert. Während des Todesmarsches 1945 gelang ihr die Flucht auf den Gehringhof bei Fulda, der von seinen Bewohnern Kibbuz Buchenwald genannt wurde. Von hier aus bereitete sie sich auf die Auswanderung nach Israel vor.
In Palästina heiratete Esther Nissim Bejarano und studierte Gesang. Im Laufe der Jahre ertrug Nissim den Kriegsdienst nicht mehr und Esther selbst litt unter der Hitze. Sie entschlossen sich für eine Auswanderung nach Deutschland, weil Esther Deutsch sprach. So kehrte sie zurück in ein Land, das ihr die Eltern und auch die Schwester Ruth genommen hatte. Esther schwieg und konnte die Vergangenheit nicht bewältigen. Doch ein paar unschöne Erlebnisse führten dazu, dass sie ihre Stimme wiederfand, auch musikalisch. Gemeinsam mit ihren inzwischen erwachsenen Kindern Edna und Joram gründete sie Anfang der 1980er Jahre die Gruppe "Coincidence", die mit Liedern aus dem Ghetto sowie jüdischen als auch antifaschistischen Liedern auf deutsche Bühnen trat.
 Esther Bejarano lebt heute in Hamburg. Hier kämpft sie unermüdlich gegen das Vergessen. Zu einem Eklat kam es am 31. Januar 2004, als sie in Hamburg an einer Demonstration gegen einen Nazi-Aufmarsch teilnahm und die Polizei nach Angaben Béjaranos mit einem Wasserwerfer direkt auf den Wagen zielte, in dem die damals 79-jährige saß.

Esther Bejarano auf ihrem Konzert am 18. Februar 2011 in Hamburg Kulturhof Dulsberg mit Kutlu Yurtseven von Microphone Mafia
 (Foto: © Barbara Naziri)



Esther Bejarano ist Mitbegründerin und Vorsitzende des Auschwitzkomitees, Ehrenvorsitzende der VVN-BdA und Trägerin der Carl-von-Ossietzky-Medaille. Anlässlich ihres 70. Geburtstags wurde sie 1994 vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg mit der Biermann-Ratjen-Medaille für ihre künstlerischen Verdienste um die Stadt Hamburg geehrt.
Im Oktober 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse geehrt. In der Begründung heißt es: „Viele ihrer Familienangehörigen wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Sie überlebte, weil sie im KZ Auschwitz Aufnahme in das Mädchenorchester fand und später im Frauen-KZ Ravensbrück Zwangsarbeit leistete". Esther ist es ein wichtiges Anliegen, besonders junge Menschen über den Nazi-Terror und den Rechtsextremismus aufzuklären.“
Esther ist am 10. Juli 2021 im gesegneten Alter von 96 Jahren in Hamburg gestorben (Näheres hier über den Nachruf) Bis zuletzt ging sie regelmäßig in Schulen, um den Kindern durch eigene Erlebnisse ein Kapitel dunkler Geschichte zu übermitteln. Wer wird dieses schwere Erbe nun übernehmen? Sie fehlt uns allen so sehr.


Im Juni 2009 wurde das erste gemeinsame Album “Per La Vita” (Für das Leben) von Esther, Edna sowie Joram Bejarano und Microphone Mafia veröffentlicht. Die Gruppe hat so viel Erfolg, dass sie auch in anderen europäischen Ländern auftritt.

 

 

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