Menschenwürde ist empfindlich wie ein Schmetterlingsflügel

 

 

Menschenwürde ist empfindlich wie ein Schmetterlingsflügel 
von Barbara Naziri

Ich denke, zum Menschsein gehört die Würde wie eine zweite Haut, die unserer Existenz erst ihren Wert gibt. Die Würde verleiht uns Stärke und unserem Lebensschiff auf seiner Reise Schutz vor gefährlichen Riffen. Darum sind Menschenrecht und Menschenwürde untrennbar miteinander verbunden. Schon der erste Artikel in unserem Grundgesetz lautet: „Die Menschenwürde ist unantastbar.“ Ist das nicht mehr als ein frommer Wunsch? Unsere Würde bleibt angreifbar, auch wenn wir uns in unserem Schmetterlingskokon sicher fühlen. Wie bekomme ich Sicherheit? „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, antwortet das Grundgesetz. Mit Gewalt die Würde schützen? Bei dieser Wortwahl wird mir mulmig. Doch unser Staat schützt uns in erster Linie vor sich selbst, um unsere Grundrechte zu wahren. Das klingt seltsam. Doch hier geht es um die Anerkennung der gleichen Rechte für alle, unabhängig von ihrer Religion, ihres Geschlechts und Alters und vor allem der respektvolle Umgang miteinander. Dies scheint eine der schwersten Aufgaben, die sich der Mensch gestellt hat.
Wie betrachten unsere Politiker die menschliche Würde? Um dies zu beantworten, brauche ich nur eine Zeitung aufzuschlagen, die ich mir gerade beim Kiosk geholt habe. Je mehr ich mich durch den ersten Artikel grabe, desto klarer wird mir, dass sich aus staatlicher Sicht die Menschenwürde in Steuergeldern bemisst. Jeder Zehnte ist auf soziale Mindestsicherung angewiesen. Unsere neue Familienministerin schlägt eine erleichternde Pflege von kranken Angehörigen vor. Die Pflegenden sollen – nur für weniger Geld –, halbtags arbeiten dürfen. Der Staat ist somit aus der Pflicht genommen, indem er ausschließlich den Betroffenen und ihren Angehörigen die gesamte Verantwortung auflädt. Der Aufschrei der Grünen klingt mehr wie ein erkälteter Hahn. Die Pflege von Alten und Kranken gehört zu den Aufgaben des Staates, tönen sie, genauso die Betreuung der Kinder, die ebenso eine staatliche Aufgabe ist. Als moderne, aufgeklärte Bürgerin soll ich mir um Kinder oder Eltern also keinen großen Kopf machen. Im Gegenteil. Solange ich in der Tretmühle bin und die 67 noch nicht erreicht habe, besteht meine Aufgabe, darin zu arbeiten, bis ich umfalle. Offiziell heißt das, Karriere machen. Doch das machen die wenigsten von uns. Die meisten arbeiten nur. Kinder passen übrigens schlecht ins Schema, obwohl der Staat sie dringend wünscht. Dabei erwartet er, dass wir uns ein paar Wochen nach der Geburt – um Zeugung und Geburt kann der Staat sich nicht kümmern, sonst wäre er sicher mit dabei – in eine nicht vorhandene Krippe geben, die alten Eltern gibt man ins Heim. Denn wenn der Laden laufen soll, müssen wir nichts anderes tun, als arbeiten und Steuern zahlen, Steuern, die sich immer mehr erhöhen, damit der Staat uns die Kinder und Alten vom Hals halten kann. Offiziell nennt er das frei und selbstbestimmt, obwohl ich manchen Arbeitsplatz mit einer Sklavengaleere vergleichen würde.
Lautes Gehupe lässt mich aufschrecken. Beinahe wäre ich ...

  • Broschiert: 512 Seiten
  • Verlag: TWENTYSIX; Auflage: 1 (11. November 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3740706686
  • ISBN-13: 978-3740706685

 

ebenfalls erschienen als GASTKOLUMNE für die feierabend.de

 

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