Die Sänger vom Seerosenteich

Die Sänger vom Seerosenteich (Gutenachtgeschichte)
© Barbara Naziri


Der Mond thronte rund wie ein Kürbis am Himmel. Freundlich blickte er auf den stillen Seerosenteich und lauschte dem Gesang der Nachtigall. Ihr Lied ertönte stets, wenn alle anderen Vögel schwiegen. Sie sang so schön, dass selbst die Frösche ihr allabendliches Quakkonzert unterbrachen, um ihr zuzuhören. Fred, der Frosch, hatte seine Arme um einen Seerosenstängel geschlungen und blickte mit großen Augen zum Sternenzelt empor. Die zarten Melodien der Nachtigall machten ihn traurig, obwohl die Sternenkinder fröhlich vom Himmelszelt herunterwinkten.
„Quak“, seufzte Fred, als das Lied beendet war, „wie gern würde ich einmal so schön singen wie Frau Nachtigall. Doch wenn ich meine Stimme erhebe, halten sich alle die Ohren zu. Ja, manche schimpfen sogar und sagen: „Quak nicht so laut.“
Inzwischen hatte sich auch der Froschchor zur Ruhe begeben. Doch Fred konnte nicht einschlafen. Unglücklich quakte er vor sich hin und sein Jammern weckte Lisa, die Libelle. Lisa hatte sich wie alle ihre Schwestern bereits auf der großen Teichwiese zur Ruhe begeben. Sie saß auf einem Grashalm und hatte ihre Flügel wie ein Dach über den Kopf geschlagen. Doch das Jammern des Frosches drang selbst durch den Schutz ihrer Flügel hindurch. Sie reckte ihren blaugrünen Körper, der tagsüber so leuchtend in der Sonne schimmerte, und machte sich auf den Weg zu Fred.
Es war eine seltsame Freundschaft zwischen der Libelle Lisa und dem Fröschlein Fred. Lisa kannte Fred bereits, als er noch eine Kaulquappe war. Da hatte sie Fred einmal vor einem großen Fisch gerettet, der hungrig nach ihm schnappte.
„Ssssirr, ssssirr“, summte Lisa und ließ sich neben Fred nieder. „Warum jammerst Du, mein Freund? Hast Du Dir den Magen mit einer dicken Fliege verdorben?“
„Quak, Lisa“, rief Fred und blähte seine Schallblasen auf, die er rechts und links am Kopfe trug. „Ich wünsche mir so sehr, ein Sänger zu sein. Wie schön wäre es, könnte ich die Bewohner des Teiches mit meinen Liedern beglücken.“
„Hm, im Augenblick machst Du einen ziemlichen Krach“, sirrte Lisa.
Fred ließ betrübt den Kopf hängen. Eine dicke Träne tropfte aus seinem Froschauge.
„Du bist nun mal kein Singvogel, Fred, sondern ein grüner Wasserfrosch. Dafür kannst Du schwimmen und tauchen wie kein anderer“, tröstete Lisa ihn. „Ich kann auch nicht singen, nur Sirren. Aber schau meine Flügel an!“
Um Fred aufzuheitern, bewegte sie ihre Flügel so schnell, bis sie kleine Funken stoben. Doch Fred kroch auf ein Seerosenblatt und quakte traurig in die Nacht. Der alte Mond hörte ihm zu, aber auch er wusste keinen Rat. So leuchtete er still wie eine große Laterne. Sein Licht glitt über das Wasser und der Nachtwind blies leichte Wellen über den Teich, die im Mondlicht wie Diamanten schimmerten. Sie trugen den Jammer des Frosches tief hinunter auf den Teichgrund bis zu den Ohren des Wassergeistes. Nök erwachte und schwamm an die Teichoberfläche, um zu erkunden, wer seine Ruhe störte.
„Sag mal, Fröschlein, hast Du die Zeit vergessen?“, fragte er ungehalten. „Und Du, Jungfer Libelle, was suchst Du an der Seite eines Frosches? Es ist tiefe Nacht und alle Tiere wollen schlafen. Selbst die Nachtigall hat sich zur Ruhe begeben.“
Erschrocken blickte Fred in die grasgrünen Augen des Nök, in denen er sein Spiegelbild sah. Lisa sirrte aufgeregt über die Wasseroberfläche.
„Habt keine Angst. Ich tue euch nichts“, brummte der Wassergeist.
Nök glitt aus dem Wasser und setzte sich auf einen großen Stein. Seine Haut schimmerte zartgrün im Mondenschein und in seine langen goldenen Haare waren Seerosen geflochten, hinter denen sich ein paar Muscheln verbargen. Eine Wasserschnecke hatte sich auf seiner Schulter niedergelassen und schien sich dort sehr wohl zu fühlen.
„Sprich schon, Frosch, warum quakst Du ohne Unterlass, sodass kein Tier an meinem Teich seine Ruhe findet? Vielleicht kann ich Dir helfen?“
Lisa sirrte heran und setzte sich auf die größte Seerose, die sie in den Flechten des Nök fand, um neugierig zu lauschen.
„Quak“, seufzte Fred. „Ich glaube, niemand kann mir helfen.
„Taten können wir nur vollbringen, wenn wir um ihre Aufgabe wissen“, sprach der Nök.
So erzählte Fred von seinem Wunsch, ein guter Sänger zu werden. Als er geendet hatte, blickte ihn der Nök versonnen an. „Ein singender Frosch ist mir noch nicht unter gekommen. Wenn Du nur den Wunsch hättest, ein Instrument zu spielen, könnte ich Dir sofort helfen. Da gibt es Grasharfen, Schilfrohrflöten und vieles andere in meiner Teichhöhle. Aber eine glockenreine Stimme, wie sie die Wasserelfen haben, kann ich nicht herbei zaubern. Die Wasserelfen sind meine Töchter und Du brauchst eine Lehrmeisterin. Vielleicht kann Dir Lari, meine Jüngste, Unterricht geben.“
Aufgeregt sprang Fred empor, als er das hörte. Sein kleines Froschherz klopfte ihm vor Freude bis zum Halse. Übermütig hüpfte er von einem Seerosenblatt zum anderen. „Quak!“, rief er so laut, dass ein paar Vögel in den Büschen erschrocken ihre Köpfe aus den Flügeln hoben. „Ich werde singen! Quak!“
„Nun lege Dich erst einmal schlafen“, lachte der Nök, „bevor Du die Nacht zum Tag machst!“
Als am Morgen die Sonne aufging, wurde Fred von einer silberhellen Stimme geweckt. Lari, die Wasserelfe, beugte sich fröhlich über ihn.
„Steh auf, Du Langschläfer. Es ist Zeit für den Unterricht.“
Flugs war Fred auf seinen langen Froschbeinen und folgte ihr auf die offene Wiese. Noch hingen die Tautropfen an den Halmen und wenn man in sie hineinschaute, glaubte man die ganze Welt zu sehen. Fred hatte heute keine Augen dafür, auch nicht für Mutter Sonne, die sich golden am Horizont erhob. Aufmerksam lauschte er den Anweisungen Laris. Doch wie er sich auch bemühte, er brachte nur ein ’Quak’ zustande. Inzwischen versammelten sich die Wiesenbewohner, um den Grund des Gequakes zu erfahren. Als sie entdeckten, dass Fred Gesangsunterricht nahm, lachten sie ihn aus.
„Frosch bleibt Frosch“, riefen sie spöttisch. „Sind Dir etwa Flügel gewachsen oder willst Du mit Frau Nachtigall in Wettstreit treten?“
Beschämt verkroch Fred sich unter einem großen Blatt und sooft Lari ihn auch bat, weiter zu üben, er kam nicht hervor. Sein kleines Froschherz war betrübt, weil alle ihn auslachten. Lisa hatte aus der Ferne alles mit angehört. Nun schwirrte die Libelle herbei und setzte sich zu ihm.
„Höre nicht auf die Spötter“, riet sie ihm. „Tue das, was Dein Herz Dir rät. Ich setze mich zu Dir und will Dich unterstützen.“ Dabei begann sie, eine Melodie zu sirren. Zaghaft kroch Fred unter dem großen Blatt hervor. Lari begann wieder mit dem Unterricht und hatte nun zwei Schüler. Fred und Lisa. Das sprach sich schnell am großen Teich herum. Nach und nach gesellten sich weitere Schüler hinzu, die das Singen erlernen wollten. Die Hummeln und Bienen waren die ersten, gefolgt von den Feldmäusen und vielen anderen. So nach und nach kam tatsächlich in das Summen, Quaken und Sirren und Fiepen eine Melodie, die von Tag zu Tag lieblicher wurde. Zuletzt kamen die Vögel herbei geflogen, die aufmerksam alles beobachtet hatten. Gemeinsam ließen sie sich nieder, um mitzuträllern.
Wieder leuchtet der Vollmond über dem Teich. Erstaunt blickt er auf das Leben zu seinen Füßen. Niemand ist zur Ruhe gegangen, denn heute Nacht gibt es ein großes Konzert am Seerosenteich. Jeder ist dazu eingeladen. Alle Tiere haben sich versammelt und singen das Lied der Natur. Es klingt so wunderschön, dass dem alten Mond die Freudentränen über die schimmernden Wangen rinnen. Am glücklichsten singt Fred, der Frosch. Er darf zuerst den Chor einstimmen. Und dann fallen alle fröhlich mit ein.
„Ja“, lächelt der Mond, „wenn man an sich glaubt, kann man alles schaffen.“

 

 

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